
Warum Introvertierte Beziehungen anders erleben – und warum sie sie manchmal loslassen müssen
Dieser Artikel beleuchtet, warum es manchmal wichtig ist, dass Introvertierte Beziehungen loslassen müssen – und wie sie dabei zu sich selbst finden. Eines sei vorneweg gesagt: Der hier veröffentlichte Text, spiegelt in erster Linie meine eigenen Erfahrungen wider und soll nicht allgemeingültig sein für alle introvertierten Personen.
Es gibt nur wenig Dinge, die mich mehr langweilen als Smalltalk. Ein Punkt, den ich sicherlich mit vielen Introvertierten teile. Wenn ich in der Vergangenheit neue Menschen kennengelernt habe, dann begann es meist mit Smalltalk. Ist ja auch verständlich. Immerhin kennt man sich gegenseitig noch nicht. Man checkt erst mal verschiedene Grundfragen ab und macht sich ein erstes Bild vom Gegenüber. Irgendwann sollte aber der Punkt kommen, an dem man vom Smalltalk in tiefergreifende Gespräche übergeht. Das muss nicht zwingend beim ersten Kennenlernen passieren.
Tritt dieser Moment aber gar nicht ein, dann stelle ich mir die grundsätzliche Frage, ob ich weitere Energie in diese Person investieren möchte. Ist Land in Sicht oder bahnt sich an, dass ich im Ozean der Oberflächlichkeit ertrinken werde? Kann ich die Frage mit der zweiten Option beantworten, ist es Zeit den berühmten Stecker zu ziehen. Ich versuche es zwar so charmant und rücksichtsvoll wie möglich zu gestalten, aber doch sollte die Botschaft klar sein. Bis hier her und nicht weiter. Meine Zeit und Energie die ich in dich investiere, bringt mir keinen Mehrwert. Eher leide ich darunter und das möchte ich nicht.
Wenn Nähe zur Last wird: Warnzeichen für Introvertierte, eine Beziehung loszulassen
Meist nehme ich mir die Zeit, um eine neue Bekanntschaft in aller Ruhe einzuordnen. Wie verliefen die Gespräche und wie fühlte ich mich dabei? Bin ich nach der Unterhaltung erschöpft oder fühlt es sich richtig gut an? Ich beobachte auch genau, wie die neue Person sich mir gegenüber verhält. Das alles aber erst nach dem Kennenlernen. Ist sie aufdringlich oder zurückhaltend? Zeigt sie echtes Interesse oder reagiert sie mit Floskeln? Ganz wichtig: Akzeptiert sie meine ruhige Art, oder wirkt sie vielleicht sogar genervt?
Es gibt Situationen, in denen man als introvertierte Person gezwungen ist, sich extravertiert zu geben. Zum Beispiel bei Präsentationen im beruflichen Umfeld, auf Familientreffen oder sogenannten Networking-Events. Man könnte sich zwar so ruhig geben, wie es der eigenen Natur entspricht, aber es wäre der Sache nicht dienlich. Also setzt man so viel soziale Energie wie möglich ein und passt sich an. Spüre ich den Zwang, dies bei einer neuen Bekanntschaft zu tun und womöglich auch bei mehreren Treffen hintereinander, dann läuft etwas falsch.
Es ist mir auch schon passiert, dass sich eigentlich alles gut anfühlte. Ich traf mich mehrere Male mit einer Person und es schien gut zu laufen. Ansonsten hätte ich ja keine weiteren Treffen vereinbart. Als ich jedoch vor einem Treffen einen ruhigen Moment nutzte und ich in mich hineinhorchte, bemerkte ich etwas. Ich freute mich gar nicht so auf das Treffen, wie es sein sollte. Es fühlte sich mehr wie ein Geschäftstermin an, den man nicht absagen möchte. Man ging hin und unterbewusst wollte man es nur erledigen. Ein deutliches Zeichen. Als dies beim nächsten Treffen erneut der Fall war, überdachte ich den kompletten Kontakt. Ich bemerkte plötzlich Punkte, die mir vorher nicht bewusst waren und beendete es.
Introvertierte und das Loslassen: Warum Beziehungsklärung ein Akt der Selbstfürsorge ist
Schaut man sich die bisher beschriebenen Situationen und Vorgänge an, könnte man schnell zu einer falschen Schlussfolgerung kommen. Dass das eigene Verhalten eine gewisse Art von Arroganz an den Tag legt und man zu kritisch ist. Verfügt man nicht über ein gesundes Selbstvertrauen, könnte das schnell unangenehm werden. Man muss sich immer wieder ins Gedächtnis rufen: Introvertierte Beziehungen loslassen bedeutet nicht, sich zu isolieren – sondern sich zu schützen.
Man übernimmt in solchen Momenten Verantwortung. Nicht für andere, sondern für sich selbst. Darauf sollte man stolz sein. Denn man geht nicht den vermeintlich leichten Weg und versucht es anderen recht zu machen. Man ist sich der Situation bewusst und der notwendigen Schritte, diese zu meistern. So klischeehaft es auch klingen mag. Man hat erkannt, dass man sich auf einem Weg befindet, der einem nicht guttut. Der einen am Ende des Tages mehr Energie kostet, als dass er einem positive Momente beschert. Der Energiesaldo rutscht ins Soll.
Ein Ende ohne Drama: Introvertierte Wege der Distanzierung
Jeder Mensch ist anders. Niemand versteht das besser als Introvertierte. Deswegen hat vermutlich auch jeder seine eigene bevorzugte Art, eine Beziehung zu beenden. Die einen machen es charmant und wohlbedacht. Die anderen hausen wie die Axt im Walde und kappen das Seil der Beziehung ohne Rücksicht auf Verluste. Ich habe für mich einen sanften Weg gewählt. Denn wenn ich zu rabiat vorgehe, laufe ich Gefahr, dass ich die andere Person verletze. Das entspricht dann nicht mehr meinen Wertevorstellungen. Ähnlich wie das berühmt berüchtigte Ghosting beim Online Dating. Man macht es meiner Ansicht nach einfach nicht.
Was für mich sehr wichtig ist: Ich sollte mich niemals dazu verpflichtet fühlen, mich rechtfertigen zu müssen. Warum auch? Es ist meine Entscheidung und solange ich sie dem anderen gegenüber in einem angenehmen Ton mitteile, muss das reichen. Man sollte sich von der Vorstellung trennen, dass man dem anderen eine perfekte Erklärung schuldet. Seien wir doch mal ehrlich. In den meisten Fällen machen wir uns einen zu großen Kopf darum, wie unser Verhalten bei anderen Menschen ankommt. Oft sind wir genau so schnell in Vergessenheit geraten, wie es die andere Person bei uns ist. An dem Punkt bitte daran erinnern, dass wir es nicht aus Egoismus tun, sondern aus Selbstschutz.
Nicht jedem liegt es, eine Beziehung mit Worten zu beenden. Für diese Menschen bietet sich noch immer die Möglichkeit, es mit Aktionen zu tun. Nicht zwingend direkt, aber doch so, dass die andere Person es bemerkt. Man kann die Kommunikation langsam aber sicher zurückfahren. Wird man zum Beispiel angeschrieben, kann man sich mit der Antwort etwas Zeit lassen. Bis zum nächsten Tag oder nach dem Wochenende. „Hey, tut mir leid, dass ich jetzt erst antworte, aber ich hatte ein paar wichtige Dinge zu erledigen und keinen freien Kopf.“ Passiert dies ein paar Mal, wird sich der andere seine Gedanken machen und womöglich selbst darauf kommen, dass es nicht das Richtig ist.
Die Angst vor Einsamkeit – und warum Introvertierte beim Loslassen oft gewinnen
Wovor man keine Angst haben sollte, ist die Einsamkeit. Sie schwebt ständig über uns introvertierten Menschen. Von der Gesellschaft fest mit unserem Persönlichkeitsmerkmal verbunden, beginnt man leider schnell damit es für bare Münze zu nehmen. Daraus kann die Befürchtung entstehen, dass man nach dem Beenden einer Beziehung in ein Loch fällt. Die berüchtigte Einsamkeit könnte einen überfallen und in eine tiefe Depression stürzen. In den meisten Fällen ist diese Befürchtung jedoch unberechtigt. Denn bei Introvertierten ist es nicht unwahrscheinlich, dass sie mit Einsamkeit sehr gut umgehen können. Auch erkennen sie klar den Unterschied zwischen Einsamkeit und Allein sein.
Selbstverständlich kann es passieren, dass man sich nach dem Beenden einer Beziehung leer fühlt. An dieser Stelle sollte man sich darüber bewusst sein, dass es nur ein kurzfristiges Gefühl der Unzufriedenheit ist. Langfristig ist es die richtige Entscheidung und sorgt dafür, dass es uns besser geht. Auch wenn es sich im ersten Moment nicht danach anfühlt. Jeder kennt doch die Situationen im Leben, in denen man eine Entscheidung treffen muss, mit der man erst mal nicht glücklich ist. Man wägt aber ab, was sich langfristig positiv auswirken wird. Warum sollte man also bei Beziehungen nicht auch so handeln? Insgeheim wissen wir nämlich alle was gut für uns ist.
Übrigens wird durch das Trennen einer Beziehung auch Platz für Neues geschaffen. Wer sich schon mal von einem Partner oder Partnerin getrennt hat, kennt das Gefühl. Wenn man wieder alleine ist, fühlt es sich oftmals unheimlich befreiend an. Man bemerkt plötzlich, dass man wieder Dinge tut, die in der Partnerschaft ihren Platz im Leben verloren haben. Aus welchem Grund auch immer. Wenn ein Waldbrand eine große Fläche an alten Bäumen zerstört, ist das schlimm. Aber danach entsteht immer wieder etwas Neues, was Chancen bietet. Bei uns Menschen ist das nicht anders. Wir neigen aber dazu, erst mal das Negative eine Trennung zu sehen. Mag sein dass das evolutionär bedingt ist. Denn grundsätzlich sind wir ja auf Beziehungen angewiesen.
Was nach dem Loslassen bleibt: Raum für stimmige Beziehungen als Introvertierter
Der neue Raum, der nach der Beendigung einer Beziehung entsteht, bietet wie gesagt jede Menge neue Chancen. Vor allem gibt er einem auch die Möglichkeit nach dem zu suchen, was man in der alten Beziehung nicht vorgefunden hat. Denn wenn wir Introvertierte eines können, dann ist es Nachdenken. Dementsprechend wissen wir auch nur zu gut, was wir wollen. Vor allem aber auch, was wir nicht wollen. Somit ist jede gescheiterte Beziehung – nicht nur die romantischen – auch ein Schritt auf das Richtige zu.
Es ist auch möglich, dass wir irgendwann zu der Erkenntnis gelangen, dass wir schon genügend Beziehungen haben und wir uns auf diese fokussieren sollten. Leider ist es heutzutage normal geworden, dass sich die Menschen in allen Belangen optimieren möchten. Attraktiver aussehen, effizienter arbeiten oder im Sport mehr Leistung bringen. Es kann dadurch passieren, dass man zu dem Entschluss kommt, dass man nicht genügend Beziehungen hat. Ganz nach dem Motto „Mehr ist immer besser, als weniger“.
Vielleicht bemerken wir irgendwann, dass uns die vielen Beziehungen so viel Zeit rauben, dass wir keine mehr für uns und unsere Selbstpflege haben. Wir sind dann so sehr darauf konzentriert die nächste, womöglich bessere Beziehung zu suchen, dass wir das übersehen, was vor unseren Augen liegt. Im schlimmsten Fall gehen dadurch bestehende Beziehungen in die Brüche, die es wert gewesen wären, erhalten zu werden.
Fazit: Beziehungen loslassen beginnt mit Selbstrespekt – besonders für Introvertierte
Zusammenfassend kann man wieder einmal erkennen, wie wichtig es ist, Introvertiertheit nicht als Schwäche zu sehen. Ich habe das auch in meinem ersten Artikel erwähnt. Es erfordert Mut und Courage, eine bestehende Beziehung zu beenden. Sie schafft Raum für Neues und bringt uns auf vielen Ebenen weiter. Denn nur wenn wir die Beziehung zu uns selbst pflegen, sind wir auch bereit für äußere. Das Reflektieren von Beziehungen, ist ein notwendiges Werkzeug, welches wir einsetzen sollten. Sowohl zum Abreißen als auch zum neu aufbauen. Wer als Introvertierter Beziehungen loslassen kann, schafft Raum für echte Verbindung.
